Wenn alle alles sehen und hören wollen: Hybrid-Seminare

Ehe ich mein erstes Hybrid-Seminar gab, hatte ich bereits allerhand über hybride Veranstaltungen gelesen (Unterricht, Meetings, Workshops, sogar Gottesdienste) und festgestellt, dass der Begriff „hybrid“ im Kontext von (Lehr-) Veranstaltungen nicht einheitlich verwendet wird. Daher zunächst eine kurze Erklärung, wie ich den Begriff in diesem Artikel verwende.

 

Was sind eigentlich Hybrid-Seminare?

 

Hybrid-Seminare sind Lehrveranstaltungen, bei denen sich einige Teilnehmende gemeinsam mit der Dozentin/dem Dozenten am selben Ort befinden (in der Regel im Seminarraum), die anderen Teilnehmenden befinden sich an unterschiedlichen Orten weltweit. Sie nehmen an der Lehrveranstaltung live und online teil. Hybrid-Unterricht in diesem Sinne unterscheidet sich in den meisten Fällen also ganz erheblich vom Wechselunterricht in unseren Schulen während der Pandemie - und auch vom Blended Learning, bei dem Präsenz- und Online-Unterricht nacheinander stattfinden.

Laut Wikipedia bezieht sich „hybrid“ auf etwas „Gebündeltes, Gekreuztes oder Vermischtes“. Der Duden definiert das Wort wie folgt: „aus Verschiedenartigem zusammengesetzt, von zweierlei Herkunft; gemischt; zwitterhaft“.

Wozu überhaupt hybride Veranstaltungen? - Hybrid-Veranstaltungen sind immer dann ein Thema, wenn es seitens des Veranstalters oder der Teilnehmenden Restriktionen gibt: (1) Der Raum ist (z.B. aufgrund einer Verordnung, eines Sicherheits- oder Hygiene-Konzeptes) nur für eine Personenzahl zugelassen, die geringer als die Anzahl der Teilnehmenden ist. (2) Teilnehmende dürfen nicht reisen (z.B. wegen eines Dienstreiseverbotes oder Quarantäne). (3) Teilnehmende wollen nicht reisen (z.B. aus Angst vor Ansteckung). - Dem gegenüber verbinden andere Menschen Hoffnungen damit, an einer Präsenzveranstaltung teilzunehmen: persönliche Kontakte zu haben (endlich wieder!), neue Kontakte zu knüpfen, zu netzwerken, sich auch in den Pausen auszutauschen und - anders (mehr und besser?) zu lernen.

 

Hybrid-Unterricht kann unterschiedlich weit gehen:

  • vom Frontalunterricht, bei dem die Webcam statisch ist und den/die Dozent*in und ihre/seine Visualisierung überträgt, und die Online-Teilnehmenden - quasi wie im Kino - sehen und hören, was im Raum geschieht, ohne aktiv Einfluss darauf nehmen zu können,
  • bis hin zum kooperativen Lernen in hybriden Gruppen, bei dem Online- und Präsenz-Teilnehmende ein beinahe identisches Unterrichtserlebnis haben.

Zwischen diesen beiden Polen ist alles möglich.

 

Lehrende sind im Hybrid-Seminar massiv gefordert!

 

Hybrid-Seminare vereinen – theoretisch – die Vorteile von Online- und Präsenz-Lehre und vervielfachen die Anforderungen an den Dozenten/die Dozentin, an die Technik und an die Organisation. Nachdem ich zwei sehr unterschiedliche Hybrid-Seminare selbst umgesetzt habe, stelle ich nachfolgend Erfahrungen aus meiner Sicht als Dozent*in dar.

 

Der/die Dozent*in hat in Hybrid-Seminaren extrem viel zu tun und achtet auf:

  • Online-Teilnehmende,
  • Präsenz-Teilnehmende,
  • den Chat,
  • seine/ihre digitale Präsentation (z.B. PowerPoint-Folien),
  • die verwendeten analogen Medien (z.B. das Flipchart),
  • die Steuerung des Video-Konferenztools (z.B. Zoom, BigBlueButton),
  • die Steuerung weiterer Kollaborationstools (z.B. Invote für Umfragen),
  • die Steuerung der (Raum-) Kamera(s)
  • … und natürlich Vermittlung der fachlichen Inhalte.

Den letzten Punkt hätte ich beinahe nicht erwähnt, denn den Stoff muss man im Schlaf beherrschen.

 

Erfahrungsbericht: Settings im Vergleich

 

Bevor ich zu den Besonderheiten der beiden Hybrid-Seminare komme, ganz kurz etwas zu den Gemeinsamkeiten:

 

Es handelte sich um Hybrid-Seminare im Bereich der Erwachsenenbildung.

 

In beiden Fällen war eine PTZ-Kamera mit Fernbedienung im Einsatz (PTZ steht für pan = schwenken, tilt = neigen und zoom). Derartige Kameras gestatten es, nahezu alle Bereiche eines Raumes zu erfassen. Sie werden daher in anderen Kontexten auch als Überwachungskameras eingesetzt.

 

Die PTZ-Kamera stand im 1. Seminar auf dem Dozenten-Tisch und war frei beweglich, sodass ich sie beliebig ausrichten konnte.

 

Im 2. Seminar war die PTZ-Kamera in einer Ecke zwischen Wand und Stütze in Raummitte befestigt und konnte daher nicht den kompletten Raum erfassen, also beispielsweise Teilnehmende in den hinteren Reihen während ihrer Wortmeldung nicht zeigen.

 

Das Setting im 1. Seminar

Abbildung 1-1: Technik im Seminarraum (1. Seminar)
Abbildung 1-1: Technik im Seminarraum (1. Seminar)

Als Video-Konferenz-Software kam BigBlueButton zum Einsatz. Die Seminardauer betrug 90 Minuten. Am Seminar nahmen 9 Personen online teil, 3 weitere Personen waren gemeinsam mit mir im Seminarraum anwesend.

 

Den technischen Aufbau habe ich in Abbildung 1-1 visualisiert.

 

Die PTZ-Kamera habe ich selbst gesteuert und je nach Bedarf auf das Flipchart (beim gelegentlichen Visualisieren), auf einzelne Teilnehmende (bei Fragen) oder auf mich selbst (in Vortragsphasen) gerichtet. Aufgrund der Lage der Kamera auf dem Dozententisch entstanden – je nach Distanz zum Objekt und Objekthöhe – Bilder in mehr oder weniger starker Untersicht. Das ist bei Aufnahmen von Personen nicht vorteilhaft und beeinträchtigt die Lesbarkeit analoger Visualisierungen.

 

Das Raum-Mikro wurde sowohl für die Spracheingabe der Dozentin als auch für die der Präsenz-Teilnehmenden verwendet. Bei den Lautsprechern handelte es sich um Aktivboxen. Sie dienten der Wiedergabe der Redebeiträge der Online-Teilnehmenden. Die Ton-Qualität war gut (keine Rückkopplungen o.ä.). Sowohl die Präsenz-Teilnehmenden als auch die Online-Teilnehmenden haben alles gehört.

 

Weder bei der Bild- noch bei der Tonübertragung hatten wir Latenzprobleme.

 

Ich verwendete eine digitale Präsentation (in PDF-Format gewandelte PowerPoint-Präsentation) für meine Vortragsphasen. Geplant war, diese Präsentation mittels Beamer auf die Leinwand zu projizieren. Aufgrund technischer Probleme im Seminarraum gelang dies nicht. Daher verfolgten auch die Präsenz-Teilnehmenden meine Präsentation auf einem weiteren im Seminarraum zur Verfügung stehenden Laptop (als Online-Teilnehmende an der Videokonferenz).

 

Bei der Seminarplanung war uns die Sichtbarkeit von Präsenz-Teilnehmenden wichtig, sobald diese einen Redebeitrag leisten. Ihre ständige Sichtbarkeit für die Online-Teilnehmenden hatten wir nicht vorgesehen.

 

Abbildung 1-2: Bildschirminhalt von BigBlueButton (hier ein Foto der Projektion des Beamers, „Kacheln“ der Teilnehmenden eingezeichnet)
Abbildung 1-2: Bildschirminhalt von BigBlueButton (hier ein Foto der Projektion des Beamers, „Kacheln“ der Teilnehmenden eingezeichnet)

Ob und unter welchen Bedingungen die Präsenz-Teilnehmenden die Online-Teilnehmenden sehen, hatten wir im Vorfeld gar nicht thematisiert. Hier kam uns BigBlueButton zu Hilfe: Als Dozent*in hat man die Wahl, den eigenen Bildschirm zu teilen oder eine Präsentation hochzuladen. Letzteres spart Bandbreite, und auf dem Dozenten-Bildschirm sieht man Präsentation, Chat und Teilnehmende an der Konferenz (siehe Abb. 1-2). Somit können die Präsenz-Teilnehmenden die Online-Teilnehmenden sehen.

Als Dozentin habe ich in meinem ersten Hybrid-Seminar die Technik nicht als die große Herausforderung empfunden. Anstrengender war für mich die Gleichbehandlung von Online- und Präsenz-Teilnehmenden. Das beginnt beim Blickkontakt: Schaue ich die Teilnehmenden im Seminarraum an oder die Online-Teilnehmenden. Ist meine Webcam in guter Position für den Blickkontakt? Wen spreche ich wie an, wenn ich auf Fragen keine Antworten aus dem Zuhörerkreis erhalte?

 

Das Setting im 2. Seminar

Abbildung 2-1: Technik im Seminarraum – Variante 1 (2. Seminar)
Abbildung 2-1: Technik im Seminarraum – Variante 1 (2. Seminar)

Als Video-Konferenz-Software kam GoToMeeting zum Einsatz. Außerdem verwendete ich einige Online-Kollaborationstools (Mentimeter, Etherpad, Padlet). Die Seminardauer betrug 210 Minuten. Am Seminar nahmen 9 Personen online teil, 3 weitere Personen waren gemeinsam mit mir im Seminarraum anwesend.

 

Den (vorgesehenen) technischen Aufbau habe ich in Abbildung 2-1 visualisiert.

 

Die PTZ-Kamera habe ich zu Beginn des Seminars so ausgerichtet, dass ich selbst und das (analoge) Whiteboard zu erkennen waren. Die Kamera-Einstellung entsprach in etwa einer Halbtotalen. Diese Einstellung blieb während des gesamten Seminars nahezu unverändert – bis auf einen Lesbarkeitstest mit handgeschriebenem Tafelbild, was dann in etwa einer Großaufnahme entsprach. Aufgrund der Raumsituation und Befestigung der Kamera stand die Perspektive fest: In der Vertikalen handelte es sich um eine leichte bis mäßige Aufsicht, in der Horizontalen bestand eine ausgeprägte Schrägsicht. Gerade letztere ist nicht optimal.

 

Die für die Spracheingabe der Präsenz-Teilnehmenden gedachten an der Decke des Seminarraumes montierten Mikros (2 Stück) wurden nach kurzer Testphase außer Betrieb genommen, da die Online-Teilnehmenden die Äußerungen der Präsenz-Teilnehmenden kaum verstehen konnten (kein Lautstärkeproblem, sondern eher Hall bzw. Verzerrung).

 

Ich habe als Audio-Eingabe für mich als Dozentin in zwei Varianten getestet: mittels Headset und mit dem im Laptop eingebauten Mikro. In beiden Fällen war die Tonqualität gut.

 

Ein Lautsprecher an der Decke des Seminarraumes diente der Wiedergabe der Redebeiträge der Online-Teilnehmenden. Die Ton-Qualität war gut.

 

Sowohl bei der Bild- als auch bei der Tonübertragung für die Online-Teilnehmenden bemerkte ich eine gewisse Latenz.

 

Ich verwendete eine PowerPoint-Präsentation für meine Vortragsphasen. Diese projizierte ich für die im Seminarraum Anwesenden mittels Beamer auf die Leinwand. Mit den Online-Teilnehmenden teilte ich meinen Bildschirm.

 

Abbildung 2-2: Technik im Seminarraum – Variante 2 (2. Seminar)
Abbildung 2-2: Technik im Seminarraum – Variante 2 (2. Seminar)

Nach einer Phase des Testens (bevor die echten Seminarteilnehmer*innen da waren) nahmen wir einige Veränderungen am Setting vor. Den technischen Aufbau habe ich in Abbildung 2-2 visualisiert.

 

Änderungen betrafen den Aufbau eines weiteren Laptops, auf dem ein (Dummy-) Nutzer am Konferenztool angemeldet war. Dieser Laptop war gegenüber dem Dozenten-Laptop („Laptop für Host“) um 180 Grad gedreht, filmte die Präsenz-Teilnehmenden und zeigte ihnen die Online-Teilnehmenden. (Bei Anschluss eines zweiten Beamers könnte man die Galerieansicht der Online-Teilnehmenden an die Wand projizieren.)

Das am Laptop angeschlossene Mikro (in diesem Fall ein Headset) wurde als zentrale Sprechstelle für alle Präsenz-Teilnehmenden verwendet. - Ob das ein realistisches Szenario für größere Gruppen von Präsenz-Teilnehmenden ist, muss die Praxis zeigen.

 

Auch Interaktionen mit den Zeichenwerkzeugen des Konferenztools und Eingaben in Online-Kollaborationstools wurden von diesem Laptop durch Teilnehmende vorgenommen.

 

Die Online-Teilnehmenden konnten die Präsenz-Teilnehmenden in einer Kachel ihrer Galerieansicht sehen – allerdings sehr klein.

 

Ein 3. Laptop stand am Dozentenarbeitsplatz. Dort war ein weiterer (Dummy-) User am Konferenztool angemeldet. Effekt: Ich konnte exakt das sehen, was auch die echten Online-Teilnehmenden an ihren Bildschirmen sahen.

 

Erkenntnisse aus zwei Hybrid-Seminaren

Technische Herausforderungen

 

Die zur Verfügung gestellte Technik sollte mehr Möglichkeiten bieten, als die Lehrenden benötigen. Sie darf den (methodischen) Lösungsraum nicht einschränken! Denn meine Überlegungen als Lehrende laufen in folgender Reihenfolge ab:

  1. Was will ich wem zu welchem Zweck vermitteln (Didaktik)?
  2.  Wie will ich vermitteln (Methodik)?
  3.  Womit mache ich das (Technik)?

Video- und Audio-Technik müssen ebenso wie die Konferenzsoftware hochwertig sein. Letztere sollte neben den Basisfunktionen (Bildschirm teilen und Chat) auch Gruppenarbeit und Umfragen anbieten. Anderenfalls müssen Dozent*innen auf separate Online-Tools zurückgreifen. Das macht das Handling noch anspruchsvoller - und fordert mehr Bandbreite.

 

Hören ist wichtiger als Sehen! - Auf das gegenseitige Sehen aller Beteiligten kann unter Umständen verzichtet werden, auf das gegenseitige Hören nicht.

 

Methodisch-didaktische Herausforderungen

 

Wenn es um die Aktivierung der Teilnehmenden in Hybrid-Veranstaltungen geht, dann bestimmen die Online-Teilnehmenden den Takt (alle 10 Minuten eine Interaktion - so sie nicht bloße Zaungäste sein sollen).

 

Gruppenarbeit ist entweder in rein analogen und rein digitalen Gruppen möglich oder in hybriden Gruppen. Echte Verbindung zwischen digitaler und analoger Welt kommt erst durch hybride Gruppen zustande. Eine gemeinsame Arbeitsfläche von Online- und Präsenz-Teilnehmenden kann nur digital sein.

 

Hybride Gruppen bestehen aus Online- und Präsenz-Teilnehmenden. Um diese Gruppen zu bilden, müssen Computer mit Zugang zum Konferenz- und/oder Kollaborationstool im Seminarraum vorhanden sein. Eine Alternative ist der Einsatz von Messenger-Diensten auf Smartphones.

 

Analoge und digitale Medien nutzen? Analoge Medien können an der Internetverbindung der Online-Teilnehmenden scheitern. So erlebt im 2. Hybrid-Seminar: Manche Teilnehmer*innen konnten das handgezeichnete Tafelbild gut erkennen, manche nicht.

 

Die einfache Lösung kann darin bestehen, das Tafelbild zu fotografieren und das Foto allen Teilnehmenden zur Verfügung zu stellen. Die komfortablere Lösung besteht in einem digitalen Eingabegerät für den/die Dozent*in (Whiteboard oder Tablet). Die jeweilige Visualisierung sehen dann sowohl Online- als auch Präsenz-Teilnehmende.

 

Organisatorische Herausforderungen

 

Als Dozentin muss ich ein Hybrid-Seminar akribisch planen! Neben fachlichen Inhalten und dafür benötigten Zeiten muss ich mir Gedanken machen über einzusetzende Medien (digital und/oder analog), Kameraposition und -führung, die Umsetzung von Arbeits- und Sozialformen im Hybrid-Raum u.v.m.

 

Ein häufiges Umschalten zwischen verschiedenen Kameras und Mikros setzt den Dozenten/die Dozentin unter Stress. Falls das vorgesehen ist, wünsche ich mir personelle Unterstützung (Bild- und Tonregie).

 

Soll im Seminar oder Workshop tatsächlich hybrid gearbeitet werden, stellt das Setting für die Präsenz-Teilnehmenden die größere Herausforderung dar. Während die Online-Teilnehmenden wie gewohnt digital arbeiten, ist dies für die Präsenz-Teilnehmenden ungewohnt. Hier ist vieles vorzudenken, da es in der Regel weniger Laptops als Präsenz-Teilnehmende gibt.

 

Bei Wortmeldungen muss die Sprecher-Reihenfolge geregelt werden – insbesondere dann, wenn Online- und Präsenz-Teilnehmende einander und deren Handzeichen nicht sehen.

 

Ein Hybrid-Seminar mit interaktiver Ausrichtung in hoher Qualität bedarf eines Co-Trainers/einer Co-Trainerin und/oder der zusätzlichen Unterstützung durch eine*n Techniker*in. Diese*r übernimmt dann zumindest die Aufgaben Chat überwachen und Technik steuern und entlastet somit die Lehrkraft.